Was hat es zu bedeuten, wenn ein 800 Pfund schwerer Gorilla in für ihn eher fremden Gefilden herumwildert? 1. Er will sein Hoheitsgebiet erweitern. 2. Er ist auf der Suche nach neuen attraktiven Partnerinnen. Ein ähnliches Verhalten legt aktuell SAP an den Tag. Wie der ERP-Primus im Rahmen der OSCON 2014 angekündigt hat, werden die Walldorfer ihr Engagement in den zwei derzeit angesagtesten Open-Source Communities (OpenStack, Cloud Foundry) intensivieren. Was dieser strategische Schritt zu bedeuten hat, welcher Einfluss damit entsteht und welche Vorteile davon für die SAP-Anwender ausgehen, erläutert dieser Analyst View.
SAP nimmt (wieder) gezielten Kurs auf Open-Source
Mit Cloud Foundry und OpenStack wird sich SAP in den derzeit zwei führenden Open-Source Cloud Computing Communities beteiligen, um damit weitere Innovationen und die allgemeine Weiterentwicklung der Cloud zu fördern, wie Björn Goerke, Executive Vice President “Products and Innovation Technology” bei SAP in einer Pressemeldung verlauten ließ. Bisher haben sich die Walldorfer bereits als normales Mitglied an dem Platform-as-a-Service (PaaS) Projekt Cloud Foundry beteiligt und in diesem Zuge im Dezember 2013 in Zusammenarbeit mit Pivotal – einem Spin-off von VMware – einen Cloud Foundry Service-Broker für SAP HANA veröffentlicht. Hiermit lassen sich die In-Memory Funktionen von SAP HANA in Cloud Foundry basierten Applikationen nutzen. Die Beteiligung wird SAP in Zukunft intensivieren und das Projekt als Foundation-Mitglied mit Platinum-Status unterstützen. Mit HP, IBM, Intel, VMware und Ericsson befindet sich SAP dort in elitärer Gesellschaft.
Im Umfeld von OpenStack will SAP auf die Community zugreifen, um von den bisherigen Entwicklungen zu profitieren, aber um ebenfalls selbst zur Erweiterung der Code-Basis beizutragen. Die Beteiligung hat insbesondere das Ziel, OpenStack-Entwicklungen für geschäftliche Szenarien vorantreiben und die eigenen Erfahrungen bei der Verwaltung von Cloud-Infrastrukturen für Unternehmen mit einfließen zu lassen. In Sachen Cloud-Infrastrukturen wird SAP von der OpenStack Community allerdings noch bedeutend mehr lernen als das Unternehmen in der Lage ist dazu beizutragen.
OpenStack wächst und gedeiht
SAPs OpenStack Engagement kommt nicht ganz unerwartet. Das Momentum der Open-Source Cloud-Infrastruktursoftware bleibt konstant auf einem hohen Niveau. Neben der stetigen Verbesserung der Technologie (aktuelles Release: Icehouse), steigt ebenfalls die Adaptionsrate bei den Unternehmenskunden kontinuierlich an. Dies zeigt sich im weltweiten Wachstum der OpenStack-Projekte. Zwar stieg die Anzahl der neuen Projekte von Q2 auf Q3/2014 nur noch um 30 Prozent an (Steigerung von Q1 auf Q2/2014: 60 Prozent), trotzdem ist die Attraktivität weiterhin ungebrochen.
Dabei sind On-Premise Private Clouds mit Abstand das bevorzugte Deployment-Modell. Im Q2/2014 zählte die OpenStack Foundation weltweit 85 Private Cloud-Installationen. Im Q3 wuchs die Anzahl bereits auf 114 an. Die Anzahl der weltweiten OpenStack Public Clouds stieg nur noch um 7 Prozent an. Im Vergleich dazu lag das Wachstum von Q1 auf Q2/2014 bei 70 Prozent. Mit 57 Prozent zeigten Hybrid Cloud Projekte das größte Wachstum. Für die kommenden 12 Monate erwartet Crisp Research ein 25 prozentiges Wachstum OpenStack-basierter Enterprise Private Clouds.
Was hat das SAP Engagement bei OpenStack und Cloud Foundry zu bedeuten?
Wenn ein großer Tanker wie eine SAP sich an jungen und dynamischen Communities aus der Open-Source Szene beteiligt, dann darf diesen Projekten durchaus eine hohe Bedeutung zugesprochen werden. Insbesondere OpenStack hat sich damit endgültig zum Schwergewicht unter den Open Source Cloud-Infrastrukturlösungen gemausert. Aber nicht nur für die Communities hat das Engagement einen hohen Stellenwert. Auch für SAP handelt es sich dabei um einen strategisch wichtigen Schritt, um sich in Zukunft unabhängiger gegenüber Infrastrukturanbietern wie VMware oder Microsoft aufzustellen.
SAP gehört zu den größten Workloads in der Unternehmens-IT und wird von dem Großteil der Anwender auch weiterhin selbst in on-Premise Infrastrukturen betrieben. Mit der steigenden Bedeutung von Cloud-Umgebungen und dem wachsenden Einfluss von Open-Source, muss vor diesem Hintergrund die Rolle von VMware und Microsoft Umgebungen hinterfragt werden, die früher bevorzugt als Infrastrukturbasis zum Einsatz gekommen sind.
Insbesondere aus finanzieller Perspektive leistet OpenStack einen entscheidenden Beitrag, indem sich mit dem Open-Source Framework die Kosten für den Aufbau und Betrieb einer Cloud Infrastruktur signifikant reduzieren lassen. Die Lizenzkosten für aktuelle Cloud-Management- und Virtualisierungslösungen des gesamten Cloud-TCO liegt etwa bei 30 Prozent. Das bedeutet, dass zahlreiche renommierte Softwarehersteller wie Microsoft und VMware mit dem Lizenzverkauf entsprechender Lösungen einen guten Umsatz erzielt haben. Mit OpenStack erhalten IT-Entscheider jetzt die Gelegenheit, die Provisionierung und Verwaltung ihrer virtuellen Maschinen und Cloud Infrastrukturen ökonomischer vorzunehmen. Hierzu stehen kostenlose Community Editions als auch professionelle Distributionen für den Unternehmenseinsatz inklusive Support zur Verfügung. In beiden Fällen Alternativen, um die Lizenzkosten für den Betrieb der Cloud Infrastrukturen deutlich zu senken. Mit OpenStack halten IT-Entscheider damit ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel gegen Microsoft und VMware in der Hand.
Es handelt sich somit um einen klugen Schachzug von SAP, indem den Kunden in Zukunft weitere Optionen für den Einsatz offener Cloud-Architekturen erhalten und die eigene Rolle und das Ansehen in der Open-Source Gemeinde damit gestärkt wird.
Implikationen für den SAP-Anwender
Neben den Vorteilen die sich dadurch für SAP ergeben, wirkt sich die strategische Entscheidung ebenfalls auf die Anwender aus. Abseits der Minimierung von Lizenzkosten auf Infrastrukturebene, lässt sich mit dem Einsatz von OpenStack die Plattformunabhängigkeit erhöhen und damit die Herstellerabhängigkeit (Vendor Lock-in) verringern. Die offene Architektur und Schnittstellen ermöglichen die Integration mit bestehenden Systemen und sorgen für eine bessere Interoperabilität. Gleichzeitig dürfte SAP für einen starken Einflussfaktor stehen, um die Interessen seiner Kunden in der Open-Source Community zu vertreten.
Allerdings, der zentrale Aspekt den SAP-Anwender kritisch hinterfragen müssen ist, ob SAP in der Lage ist, OpenStack so zu unterstützen, dass sie ihre Private Clouds auch für den SAP-Betrieb einsetzen können. Hierfür darf es keine proprietäre SAP-OpenStack-Version geben. Stattdessen muss SAP auf den aktuell durch die Community unterstützten Releases oder auf professionellen Distributionen betrieben werden können. Kurzum muss sich SAP ohne großen Aufwand auf bereits vorhandenen OpenStack-Infrastrukturen ausrollen lassen.
Zwar hat SAP bisher viel Erfahrung im Linux-Umfeld sammeln können. Beim Thema OpenStack sind die Walldorfer allerdings sehr spät dran. Schlussendlich ist es für die Anwender von entscheidender Bedeutung, ob SAP ein großer Contributor von OpenStack werden kann und somit einen direkten Einfluss auf die Community erhält. In diesem Zusammenhang wäre es ein wichtiger Schritt, Mitglied der OpenStack Foundation zu werden und das Engagement damit offiziell zu unterstreichen.
Abschließend stellt sich die Frage, ob ein ergrauter Silberrücken, der mit ständigen Selbstzweifeln im Cloud-Bereich zu kämpfen hat (das Business by Design Desaster, ständige Wechsel in der Cloud-Führungsriege; der Weggang von Lars Dalgaard), mit attraktiven, dynamischen und aufstrebenden Jungtieren mithalten wird.
Mit dem Engagement in der Cloud Foundry Community und einer Vielzahl von Initiativen, um die HANA Cloud Plattform für Entwickler von neuen Workloads interessant zu machen, befinden sich SAP und Goerken (als ehemaliger Entwickler und Software-Architekt) auf einem guten Weg. Ob die SAP allerdings wieder zum Magneten der jungen innovativen Softwareentwickler werden wird, das bleibt abzuwarten.